Nicht nur, dass man sich hier auf eine komplett andere Art von Fasching oder Karneval einstellen muss – das heißt hier übrigens „Fasnet“ – nein, auch die dazugehörigen Begriffe und Abläufe sind anders als wir sie bisher kannten. Gut, in Berlin lief das quasi komplett an uns vorbei, aber die Zeit in Steinbach war ja etwas Jeckenlastiger. Da gab es zum Beispiel „Weiberfasching“. Das war der Donnerstag als Start der tollen Tage. Hier in Überlingen nennt sich das „Schmotziger Dunschtig“ und wird gekrönt vom Aufstellen des Narrenbaumes auf der Hofstatt. Anschließend ist Party in der Stadt.
Eingebunden wird das Ganze in den ersten großen Umzug mit allen Beteiligten der Überlinger Narrenzunft. Hier hätten wir als Erstes die Hänsele (an diesem Umzug nimmt aber nur der Nachwuchs teil, die „Großen“ starten erst heute Abend um 19 Uhr) mit ihren farbenfrohen Kostümen an denen Glöckchen klingeln und ihren Karbatschen.



Ein weiterer Block sind die „Überlinger Löwen„. Frauen, die es nicht länger hinnehmen wollten, dass nur die Hänsele den Ton an Fasnet angeben und sich daher etwas Eigenes überlegt haben. Unter den Hänselekostümen dürfen nämlich ausschließlich Männer – und solche die es werden wollen - stecken. Für Frauen strikt verboten.


Eine weitere Instutition sind die Überlinger „Alten Wieber„, die am Donnerstag Abend sogar eine eigene Veranstaltung auf der Hofstatt haben, den „Wieberjuck zum Monstergugg“. Das Gegenprogramm zum „Hänselejuck“ mit rund 1500 „Hänsele“ der heute Abend ab 19 Uhr zum 60sten Mal in Überlingen stattfindet.



Schick und schwarz angezogene Frauen und Mädchen im Stil der 20er Jahre bilden dabei ein fotogenes Ensemble in den Straßen von Überlingen.


Natürlich steht auch viel närrisches Volk an den Straßen der Stadt, um den Umzug lautstark zu feiern. Aufgefallen ist mir ein Pärchen, wo er aussieht wie der Waldschrat „himself“ mit seiner Frau, die sicher arme Kinder in ihr Hexenhäuschen locken möchte. Er ist aber der „Dote aus dem Wald“ wie er mir – mit leichter Fahne – erzählt und seine Frau ist die Kräuterhexe. Das hat sogar einen realen Hintergrund, der irgendwas mit der lokalen neueren Geschichte zu tun hat. Eine andere Gruppe krächzt und flattert wie Raben und hat schauerliche Pestmasken im Gesicht. Der Kreativität der Gruppen sind keine Grenzen gesetzt.

Natürlich dürfen die Narreneltern in diesem Aufmarsch nicht fehlen. Interessanterweise sind beides Männer, also vielleicht eine Abart des Kölner Dreigestirns, wo ja Prinz, Bauer und Jungfrau (sic) auch durch Männer repräsentiert werden. It’s a mens world. Es ist wohl eine sehr alte Tradition und aktuell treten Stefan Mayer als Narrenmutter und Achim Friesenhagen als Narrenvater auf und begleiten die Fasnet in Überlingen.


Der eigentliche Sinn und Zweck des Umzuges am „schmotzigen Dunschtig“ hier in Überlingen ist aber die Aufstellung des Narrenbaumes auf der Hofstatt. Am Hänselebrunnen finden sich alle Gruppen zusammen, inklusive des Traktors und der Zimmermannsgilde, die für den ca. 30 Meter hohen Baum verantwortlich zeichnet.




Durch die engen Gassen, vorbei am Franziskanertor, in einem großen Bogen über den Landungsplatz, rollt der Narrenbaum langsam und vorsichtig zur Hofstatt, wo er bereits von hunderten Narren und Närrinnen erwartet wird. Jetzt beginnt die große Stunde der Zimmermänner unter der Leitung von Florian Messmer. Der Baum muss in einer vorgesehenen Vertiefung in ein Rohr eingeführt werden, die dem Baum die nötige Standsicherheit gewährt.



Ist dieser erste Schritt geschafft wird mit vereinten Kräften und unter Zuhilfenahme von langen Holzstangen und Seilen der Baum langsam aufgestellt. Die kräftigen Zimmermänner schieben und drücken, die kleinen „Hänsele und Wieber“ ziehen am Seil. Um kurz nach vier ist es dann endlich geschafft, der Baum steht wie eine EINS mitten auf der Hofstatt. Juhuuuu. Das ist hier übrigens das Pendant zu „Helau“ oder „Alaaf“. Klingt eher ein wenig wie der Alpöhi in den Schweizer Bergen.

Übrigens, der Begriff „Schmotzig“ leitet sich vom Begriff „Fettig“ ab. Wikipedia schreibt dazu: „Überschüssiges Fleisch und Würste wurden geräuchert, um sie haltbar zu machen. Die Menschen nannten daher diesen Tag, an dem nochmals alles mögliche Vieh zu Essbarem verarbeitet wurde, den fetten („schmotzigen“) Donnerstag. Joaahh, hätten wir das auch geklärt. Cheerio und ein kräftiges „Juhuuuu“.

Alle Fotos des Beitrages sind mit meiner neuen Kamera enstanden, einer Olympus OM-D E-M1 Mark III. Nach gut 440 Bildern vom Umzug – mit fast null Ausschuss was die Technik angeht – würde ich sagen: Bewährungsprobe bestanden.

