Während unseres Wochenendausfluges nach Warnemünde, hatte ich die Gelegenheit einmal mit einem alten Segler in See zu stechen. Zur Warnemünde Woche ist die „Präsident Freiherr von Maltzahn“ aus Övelgönne mit ihrer Crew herübergekommen und bietet die ganze Woche dreieinhalbstündige Touren auf der Ostsee an. Das Schiff lief 1928 als Fischerboot von der Reede und fungiert heute als schwimmendes Museumsschiff. Da sie direkt vor unsere Wohnmobilnase festgemacht hat, gehe ich kurz rüber und nach einem kurzen Schnack von der Mole, darf ich an Bord kommen und mir für 35 Euro mein Ticket für den nächsten Tag mitnehmen.

Die Tour beginnt um 15 Uhr und mit mir kommen noch 20 mehr oder weniger segelerfahrene Leute an Bord. Nach kurzer Einführung durch den netten Käptn, machen wir die Leinen los und schippern mit Hilfe des Diesels aus dem Warnowkanal in die Ostsee. Kurze Zeit später wird der Motor ausgeschaltet und – unter fachmännischer Anleitung der Crew mit Hilfe einiger Passagiere – werden die Segel gehisst. Das Schiff ist eine Gaffelketsch mit einer Segelfläche von rund 320 qm, die sich jetzt im Wind blähen und das Schiff langsam in die Ostsee fahren lassen. Und hier beginnt die Entschleunigung, auch für mich ganz persönlich.

Ich bin ja in der Regel immer mit irgendwas beschäftigt und wenn nicht, mache ich mir Gedanken mit was ich mich denn beschäftigen könnte. Da der Kopf rund ist, ist da immer irgendwas am rotieren. Ihr kennt das sicherlich. Ich hüpfe also mit meiner Kamera über das Schiff, vom Bug zum Heck, von Luv nach Lee und von Backbord nach Steuerbord und schieße Fotos. Damit verbringe ich die erste halbe Stunde. Als ich mich rumdrehe um zu sehen, wie weit wir denn schon gekommen sind, sehe ich immer noch die beiden Leuchttürme von Warnemünde und das Ufer ist gefühlt 500 Meter entfernt. Das ist ja schon langsam. Auf die Frage nach der aktuellen Geschwindigkeit schätzt Skipper Christoph die auf 3-4 Knoten, aber eher 3. Das sind rund 6 km/h! Da lauf ich ja schneller.

Also erste Erkenntnis: Segeln, noch dazu auf alten Fischkuttern, hat nichts mit einer Regatta zu tun, wo die Segler hart am Wind um Sekundenbruchteile kämpfen. Das Ziel ist rauszufahren, die Fischernetze auszuwerfen, zu warten bis genug Fisch drin ist und mit der Ladung wieder zurück in den Hafen zu kommen. Das möglichst ohne zu kentern. Nur mit den Segeln ist es herrlich still an Bord des hölzernen Klippers, nur die Segel knattern hin und wieder und aus der Kombüse dringt frischer Kaffeeduft hinauf an Deck. Das Signal für die Passagiere sich unter Deck zu begeben. Hier riecht es neben Kaffee noch nach Diesel und ohne Blick auf den Horizont ist sind die Schiffsbewegungen auch eher unangenehm. Mit einem Kaffee und einem frischen Stück Apfelkuchen von Kristina, mach ich es mir im Bug des Schiffes bequem.
Damit ist die erste Stunde des Törns auch schon rum, aber was mach ich jetzt eigentlich die restlichen zweieinhalb Stunden? Und – angenommen – ich würde so einen richtigen Törn quer über die Ostsee mitmachen, was macht man da so? Die Segel sind gesetzt, wenden und halsen erstmal nicht nötig, der Wind bläst kontinuierlich und der einzige Job ist der des Steuermanns. Der Rest könnte jetzt das Deck schrubben, aber auch das ist – wie ein kleiner „Kaffeeunfall“ zeigt – schnell erledigt. Kleinen Eimer über Bord werfen, Wasser hochziehen, über das Deck kippen, fertig. Nicht mal nachpolieren muss man. Also setze ich mich in eine Ecke der 160 Quadratmeter und versuche mir keine Gedanken zu machen und die Fahrt zu genießen.

Einfach so. Ohne zu denken. Nichts mehr fotografieren, was nicht eh schon fotografiert ist. Keine neue Perspektive suchen, den Blick einfach nach oben zu den Segeln und dem blauen Himmel darüber. Fällt verdammt schwer. Ich habe die Kamera schon in die Tasche verbannt, aus dem Kopf habe ich sie noch nicht. Aber es ist eine gute Übung. Zweite Erkenntnis: Nichts tun will gelernt sein. Nach der Hälfte der Zeit endlich ein wenig „Action“. Wir wenden, wenn ich das Seglereinmaleins richtig verstanden habe und fahren schräg zurück Richtung Land, dass sowieso immer in Sichtweite geblieben ist. Ein Stückweit vor der Einfahrt zurück in den Strom erwischt es uns dann richtig, der Wind flaut ab und die Segel verlieren ihre Funktion. Die Crew versucht durch raffen der Vorsegel noch ein wenig Fahrt mitzunehmen, aber so richtig kommt da nichts mehr. Wir dümpeln mehr oder weniger auf der Stelle. Dritte Erkenntnis: Ohne Wind ist Stillstand und auch gutes Zureden hilft nichts. In die Segel pusten übrigens auch nicht, es sei denn man wäre außerhalb des Bootes.

Also noch mehr Entschleunigung. Ich überlege schon zum Strand zu schwimmen, geht bestimmt schneller. Aber wir sitzen alle in einem Boot und warten auf die Entscheidung der Crew. Auf See würde man jetzt einfach ausharren, bis der Wind wieder auffrischt und das Boot vorantreibt. Eine harte Geduldsprobe für hibbelige Stadtbewohner wie mich. Aber zum Glück ist es ja ein Motorsegler und ein Teil der Crew muss den Zug um kurz nach halb sieben vom Bahnhof Warnemünde erwischen. So werden die Segel gerefft und der Diesel wieder angeworfen. Mit Wind in den Haaren geht es nun volle Kraft zurück in die Warnow und mit einer spitzen Wende machen wir pünktlich wieder an der Mole fest. Gerade rechtzeitig um die AIDAmar zu verabschieden, das komplette Gegenmodell zum gemächlichen Segelschiff. Die Tour der AIDA würde mit der Maltzahn sicherlich 8 Wochen statt 8 Tage dauern.
Letzte Erkenntnis: Geschwindigkeit ist nicht alles, aber es hilft beim Kennenlernen der Welt. Denk ich mal. Oder lässt sich die eher kennenlernen, wenn man auch mal innehalten kann? Zeit zum Nachdenken gewinnt. Nicht in acht Tagen fünf Städte besichtigt, von denen man am Ende nur ein paar Fotos als Erinnerung behält, da zu mehr Muße die Zeit gefehlt hat. Bin mir unsicher was für mich das bessere Modell wäre. Im Moment brauche ich die Ablenkung, aber das Abenteuer einer Segeltour wäre sicher auch spannend und vielleicht hätte ich nach einer Woche sogar gelernt wie man perfekt entschleunigt.